In meinen Bildern geht es immer und immer wieder um Raum, um Räumlichkeit, um Spuren von Gesten, um die Illusion von Raum. Doris Piwonka
Die Ausstellung Intermediate zeigt ein Gefüge großformatiger abstrakter Bilder der österreichischen Malerin Doris Piwonka. Die als Werkgruppe simultan entwickelten Bilder setzen formensprachlich äußerst heterogen an und bedienen unterschiedliche Begriffe von Bildräumlichkeit. Der Bildraum zeigt sich einmal atmosphärisch-diffus, dann aber auch wieder aus einer Vielzahl geschichteter, gar gestisch artikulierter Bildlagen aufgebaut. Auf den ersten Blick lässt Intermediate einen Farbfächer oder -kanon erkennen. Piwonka rekurriert auf ein Spektrum pastelltöniger Farben, das beinahe an Florales denken lässt. Die Farben scheinen dabei bei ihren ästhetisch prekären, seduktiven Charakter stets mitzureflektieren. Dem farblichen Plaisir und der Stimmigkeit ist stets auch das Moment der Irritation und der Brechung eingeschrieben. Die Bilder entfalten so in ihrem Neben- und Miteinander einen von Spannungen gekennzeichneten interpikturalen Raum, in dem anstelle anfänglich beobachteter formaler Analogien zunehmend Differenzen bestimmend werden.
Im räumlichen Miteinander der großformatigen Tableaus werden unterschiedliche Bildraumevokationen dezidiert gegeneinander gesetzt. Es lassen sich vier Formen von Bildräumlichkeit oder der bildräumlichen Evokation beobachten. Als erstes ist ein sublimer, atmosphärischer Bildraum zu nennen, der auf lasierend gemalten, flächig-immersiven Bildlagen basiert. Eine zweite Form von Bildraumtiefe resultiert aus der Schichtung unterschiedlicher Bildlagen. Es kommt zu einer Vorne-Hinten-Staffelung, die sich aus Überlagerung und Verdeckung ergibt. Ein sublimer oder auch lasierend-sphärischer Bildraum in den unteren Lagen kann so einem durch Gesten markierten Raum im Vordergrund gegenüberstehen. Eine weiter Idee von Bildraum ist expansiver Natur: Das Bild zeigt eine das Geviert überschreitende Raumwirkung, eine Art all-over, die dann wiederum, wie in Bild 2 und 4 der im Hauptraum gehängten Bilder, von im Vordergrund liegenden Markierungen konterkariert wird. Der Eigenwert der Farben, – warme Farben drängen eher nach vorne, kalte weisen in die Ferne –, stellt die vierte und wohl basalste Form von Bildraumtiefe dar. Aufgrund der unterschiedlichen Farbtemperatur generieren die verwendeten Farben eine Tiefenstaffelung, die sich durchaus auf die natürliche Wahrnehmung bezieht.
Piwonka greift in ihrer Malerei nicht unmittelbar auf Fremdreferenzielles zurück. Sie arbeitet und denkt aber sehr wohl referentiell und relational, wenn auch nicht in einem linguistischen oder systemischen Sinn, sondern stets in Bezug zu eigenen Bildern und eigenem Bildvokabular. Dabei rekurriert die Künstlerin auf Elemente und Grundparameter der Malerei wie Fläche, Farbe, Leinwand, Keilrahmen, aber auch auf malerische Phänomene wie Transparenz und Pastosität. Piwonka generiert ein in sich verschlungenes System aus Rückgriffen und Protentionen, sie schafft so eine eigenwillige Form der Autopoiesis.
Malerei bildet bei Piwonka einen ästhetischer Handlungsrahmen, der Fragen der Intentionalität und Gerichtetheit innerhalb des malerischen Prozesses zur Disposition stellt und radikal erprobt. Die Künstlerin fragt danach, wie stark das Subjekt ins piktorale Geschehen eingreift und dieses lenkt. Piwonka denkt sozusagen malend, also in und mit Bildern, über Malerei nach. Dabei vermeidet sie, bis auf punktuelle Ausnahmen kalkulierter oder konzeptuell gesetzter Gesten, jegliche Form eines einheitlichen Stils. Sie arbeitet nicht auf ein vorweg bestimmtes, imaginiertes oder durch einen Stil codiertes Bildgeschehen hin, sondern gibt den Bildern und dem Prozess selbst Raum, das Tun zu formen, sich zu artikulieren und fortzuschreiben. Entscheiden wird dabei selbst zu einer Art Material, das „durchgeführt“ wird, also transformatorisch behandelt wird. Intuitives steht somit dem Akzidentiellen, Prozesshaftes dem Entschiedenen, gar Finalen gegenüber. Im Werden der Arbeiten ist dabei das Moment aktiven Sehens und Interpretierens bestimmend, also die Frage, was ab wann fürs Bild „relevant“ wird, was ab wann zu einem ästhetischen, piktoralen Ereignis zu werden vermag. In diesem Shiften von Peripherem ins Bildhafte bewegt sich Piwonka stetig entlang einer Grenze bildontologischer Umdeutungen.
Der malerische Prozess ist somit weder rein retinal noch reflexiv. Piwonka sucht vielmehr nach einer gerichteten Ungerichtetheit, nach einem hoch aufmerksamen, dennoch ungezwungenen Bewusstseinszustand, indem Sehen, Empfinden, Denken und Tun in einem reziproken Verhältnis stehen. Gleich einem Suchvorgang scheint sich die Künstlerin in manchen Bildern gar einem Nichtbild, einem liminal-bildhaften Geschehen anzunähern, das dann aber doch (bzw. gerade noch) ein autonomes Bildgeschehen zu behaupten vermag.
Im Bild 04_5, 2023, dem von links nach rechts gelesen ersten der vier im Hauptraum der Galerie gehängten Bilder, verhilft Piwonka stark verdünnter gelber Farbe zu einer liminalen und doch markanten Präsenz. Die Künstlerin lässt die Farbe dabei weitestgehend von selbst auf dem liegenden Bildträger verlaufen, wobei eine geviertartige weiße Figur, realiter die grundierte weiße Leinwand, zu einer Art Rahmen der Gelbfläche wird. Im Anschluss setzt sie jenem „Hauch von Nichts“, so die Künstlerin, einige kleine, aber dezidiert absichtlich gesetzt Farbmarkierungen entgegen. Piwonka bedient sich hierbei eines mimetischen Moments. Sie setzt, quasi als bildräumliche Begrenzungen der verrinnenden Fläche, durchaus abbildend gemalte Klebebandstreifen (Abdeckbänder) ins Bild, die geringe Farbspuren und -reste aufweisen. Diese Artefakte malerischen Tuns spannen eine Art imaginäres Rechteck auf, das die gelb-lasierende Farbfläche gleichermaßen überlagert wie auch rahmt. Diese Bild-im-Bild-Thematik, also die Betonung des Bildgevierts, widerspiegelt eine für Piwonkas Malerei wesentliche Idee des Bildes als abstrakt-imaginäres Fenster. Die auf den ersten Blick readymade-artig erscheinenden Klebebänder stellen der anfangs angedeuteten Autorlosigkeit ein durchaus kalkuliertes, konzeptuelles Geschehen entgegen. Doch geht es Piwonka hier nicht um die Dekonstruktion von Autorschaft, sondern um eben jene peripheren Elemente wie Klebeband- sowie Farbreste, die an einer gewissen Stelle des Prozesses, durch ein Moment des Uminterpretierens, ins piktorale Geschehen integriert werden und so zu kompositorisch entscheidenden Elementen des bildhaften Geschehens werden. Als Signifikanten malerischen Tuns deuten die zitierten Abdeckbänder für Piwonka dabei nicht so sehr auf etwas hin, das gemalt wurde, sondern verweisen, im Sinne einer prozesshaften Antizipation, auf etwas, das vielleicht noch kommt, das noch gemalt werden wird. Entgegen der Idee eines finalen Bildes könnte das Bild, so die Künstlerin, potentiell ja auch anders weitergehen oder weitergegangen sein.
Das dritte Bild des Raumgefüges mit dem Titel 01_5, 2023 bildet in seiner sublimen Flächigkeit eine Verwandtschaft mit dem ersten. Es basiert auf einer ganz grundlegenden Form von Umdeutung, denn Piwonka präsentiert das Bild verkehrt, von seiner Hinterseite. Das ursprünglich Gemalte, realiter zwei vertikale Farbhälften in rot und blau, das für die Künstlerin nicht funktioniert hatte, wurde schlichtweg gewendet. So werden die auf ungrundierter Leinwand gemalten, nunmehr durchzuscheinenden gedämpften Farbflächen zum bestimmenden Charakteristikum des sublimen Bildes. Man sieht sich einer Art blinder, zugleich invertierter Malerei gegenüber, die, wie auch im ersten Bild der Serie, Fragen aufwirft, was oder besser gesagt, ab wann etwas zum Bild bzw. zum bildrelevanten Geschehen wird. Das Phänomen der Transparenz lässt zudem das Keilrahmengerüst ins Bildgeschehen treten, wiederum ein peripheres Ereignis, das das piktorale Geschehen wesentlich, wenn auch subtil mitbestimmt. In der Mitte des Bildes, an jener Stelle, an der sich die beiden vertikalen Farbflächen treffen, zeigt sich eine Leerstelle, eine Auslassung, die zu einer flächig-abstrakten Figur avanciert, um die die Künstlerin wiederum drei kleine Stücke Abdeckband samt Farbresten ins Bild setzt. Auch hier wieder mimetisch eingearbeitet, kommt jenen „Artefakten“ eine kompositorisch bedeutsame Rolle zu, die dem sonstig so freien, flächigen Bildgeschehen, entgegensteht. Die Mimesis der Abdeck- und Farbspuren verleiht ihnen nicht nur innerbildlich einen gesonderten ontologischen Status, auch in ihrer Prägnanz (Farbdichte, Gesetztheit, Konturiertheit) scheinen die Farbmarker über dem Bild zu liegen, ja zu schweben, und dabei eine Form freier Kinetik vorzuführen.
Bild 2 und 4 der Serie, betitelt mit 06_5, 2023 und 02_5, 2023 stehen in starkem Kontrast zum ersten und dritten Bild der Bildserie. Sie weisen einen explizit durchgearbeiteten, vielschichtigen Bildkörper auf. Die beiden Bilder zeigen nicht nur in den oberen Schichten pastose Farbe (Ölfarbe) und gestische Momente, die die unteren Lagen aus transparenter Temperafarbe überlagern und überschreiben, ihr Bildraum konstituiert sich zudem in einem Prozess von Aufbauen und Zerstören, etwa durch Abschaben und Abwischen von Farbe.
In Bild 2, ein vorwiegend in Gelbnuancen verhandeltem Bild, arbeitet sich die Künstlerin am Bildkörper geradezu palimpsestartig ab. Die Höhungen und Löschungen des Gelb durch den Auftrag immer weiterer weißer Farbe lässt eine gestaffelten, aus horizontalen und vertikalen Markierungen konstituierte Faktur entstehen, die zu keinerlei kompositorischer Ruhe zu finden vermag. Das Bild scheint in seiner Dichtheit der Schichten, im Widerstreit von Aufbauen und Zerstören, in einem antagonistischen Schwebezustand und in perzeptiver Unruhe zu verharren. Zwei rorschachartige, beinahe symmetrisch anmutende orangefarbene Farbkleckse scheinen flüchtig ein Bildzentrum anzudeuten, um dann dennoch, fast ein wenig ungeschickt, zu einer nur leicht versetzten Bildmitte zu gerinnen. Das Bild zeigt sich so weder wirklich gestisch durchartikuliert noch aufgelöst, weder zentriert noch dekomponiert. Eben in dieser gebrochenen Souveränität, im Fehlen des „gelungenen“ Ausgleichs und der Balance von Spannung und Entspannung, bildet Bild 2 im interpikturalen Miteinander mit den anderen Bildern der Serie eine wichtige Störung und Irritation.
In Bild 4 fächert Piwonka im Gegensatz zum zweiten Bild das Farbspektrum deutlich auf. Es lassen sich drei verschwommen anmutende Farbfelder erkennen, ein bläuliches und rötliches Farbfeld an der Oberseite des Bildes versus einem in Gelbtönen verhandelten unteren Bereich. Das Tableau lässt eine Mannigfaltigkeit an Nuancen und Schattierungen erkennen, die sich wesentlich dem Durcharbeiten, jenem Aufbauen- und Zerstören durch die Schichten hindurch verdankt. Dem bislang sanften Widerstreit flächigen Kolorits, jenem weichen und diffus anmutendem pastelltönigen Bildraum, lässt Piwonka gegen Ende des Prozesses explizit pastose, mit der Spachtel aufgesetzte Farbmarkierungen in Gelb und Rot folgen. Das aus den unteren verlaufenden Temperaschichten durchscheinende Blau an der Oberseite des Bildes bildet mit jenen finalen gestischen gelben und roten Markierungen eine dezente Anspielung auf die Grundfarben additiver Farbmischung. Gemeinsam mit einem weißen Farbfeld, das sich dem Betrachter als eine Art Farbklecks präsentiert, stellt die Künstlerin einmal mehr wesentliche Grundparameter und Werkzeuge des Mediums Malerei zur Disposition. In diesem Bild findet das Medium der Malerei nicht so sehr zur Selbstreflexion, es thematisiert vielmehr seine eigene Performanz, erprobt und zelebriert diese. Wenngleich das Bild wohl die konträrsten Entscheidungen, Verwerfungen und Umarbeitungen akkumuliert, bildet das Bildgeschehen im Gesamten ein abstraktes Geschehen, das im Raum eine beinahe gestalthafte Präsenz entfaltet. Das Tableau scheint sich von der Vorstellung eines Fensters weitestgehend zu entfernen. Es öffnet nicht den Raum, schafft keinen Austritt, sondern scheint mehr auf den Betrachter zuzubewegen. Der Bildraum wölbt sich hier sozusagen nach vorne, in den Raum hinein, während er in den atmosphärisch- flächigen Bildern 2 und 4 vom Betrachter weg, aus dem physischen Raum der Betrachtung herausführt und diesen transzendiert.
Das Bild mit dem Titel 05_5, 2023, das separat im Eingangsbereich der Galerie positioniert ist, weist deutliche Gemeinsamkeiten mit dem 1., aber auch dem 4. Bild der im Hauptraum gehängten Serie auf. Es zeigt, wie das verrinnende Gelb in Bild 1, eine untere Lage aus stark verdünnter, ineinanderfließender Farbe (Tempera), die von einer finalen vertikalen, gestisch mit der Spachtel gesetzten (und wieder abgeschabten) weißen Markierung aus Ölfarbe sowie ebenso final gesetzten, brüchig-schwarzen Farbspur konterkariert wird. Das Bild vereinigt auf signifikante Weise sämtliche widerstreitende malerischen Artikulationsweisen und Bildraumbegriffe, die sich bei Piwonka sonst oft auf einzelne Bilder im Sinne verschiedener Charaktere verteilt finden. In seiner inhaltlichen Dichtheit und bildräumevokativen Mannigfaltigkeit bildet Bild 5 mit Bild 4, das im Hauptraum an der Stirnwand positioniert ist, eine Art räumliche Klammer und schafft zudem eine Verbindung über die beiden Räume und dessen Raumgrenzen hinweg.
Piwonka verleiht dem Einzelbild eine Art Doppelstatus. Das Bild wirkt und funktioniert für sich allein, artikuliert sich aber auch stets über die Bildgrenzen hinaus. Die durchaus immersiven Bilder fordern in ihrem Mit- und Zueinander den Betrachter zum Abgleichen, zum Sich-Bewegen heraus. Es gibt nicht einen Standpunkt, von dem aus sie per se rezipiert werden, sondern mehr Strecken, Zonen, ja wiederum selbst Räume sich überlagernder Wahrnehmung. Insofern formt das Gefüge aus fünf Bildern in Intermediate ein offenes, permeables malerisch-spatiales Dispositiv. Im Neben und Miteinander bilden Piwonkas Tableaus ein „intermediates“ Gefüge, das den bestehenden Raum, die Raumgrenzen zu transzendieren vermag. In diesem Metabildraum, der letztlich auch den Prozess und Schaffensraum der Bilder widerspiegelt, kollidieren verschiedene Begriffe von Bildräumlichkeit, die miteinander streiten, und doch auch für sich bestehen können. Er ist in sich heterogen, latent zerrissen und unruhig und doch auch sublim und verführerisch.
Am Ende der Auseinandersetzung mit dem Bildgefüge Piwonkas in Intermediate stellt sich erneut die anfängliche Frage: „Wie schafft das Bild Raum, wie kommt man ins Bild hinein?“, so die Künstlerin. Phänomenologisch und rezeptionsästhetisch weitergedacht bedeutet die Frage schließlich, welche Position das Bild, das Bildgefüge den BetrachterInnen zuweist und zu welcher Art des Sehens, Wahrnehmens und Denkens es sie anleitet.
Piwonkas Bilder stellen die Frage, ab wann sie zum Bilde werden, geworden sind. Dies meint aber nicht allein den Prozess der Entstehung im Sinne eines intentionalen künstlerischen Vorgangs, sondern vielmehr auch, ab wann das Bildgeschehen seitens der Wahrnehmung des Betrachters als Piktorales synthetisiert wird. Entgegen einer essentialistischen oder genialischen Vorstellung formt sich das Bild nicht allein durch die Malerin, es bildet sich auch nicht rein aus dem Material, sondern formt sich wesentlich im Sehen, im erkennenden und gestaltenden Akt bildnerischer Wahrnehmung. Insofern ist auch eine zeitliche Dimension, der Verlauf und Prozess des Sehens entscheidend. Weil eben erst jenes gestaltende Sehen den Dingen ästhetische Bedeutung verleiht. Und weil so vermeintlich Unbedeutendes, zuvor „bloß“ Peripheres zum Wahrnehmungsgegenstand von ästhetischer Dimension avancieren kann. Malerei lässt sich hier bei Weitem nicht auf eine Les- und Deutungsart reduzieren, sondern stellt vielmehr eine offene Situation, ein veränderliches perzeptives Dispositiv dar, das zu einer Vielheit, einer Mannigfaltigkeit sinnlicher Eindrücke führen vermag. Ein Bild, eine malerische „Gegebenheit“ vermag so zu einer Vielzahl perzeptiver Bilder führen. Diese ontologische Paradoxie, dass das vermeintlich Eine, eine piktorale Einheit, ein Bild, hier zu einer Mannigfaltigkeit ästhetischer Wahrnehmung führt, ist eine elementarste, zugleich eine der zeitlosesten aller Kontingenzerfahrungen von Kunst selbst.